Im letzten Sommer, nach der Schließung des Flughafenbetriebes, befürchteten Stadtteilinitiativen und Bewohner/innen eine Aufwertung der umliegenden Wohnviertel. Hier gab es unter dem Titel „Landeanflug der Aufwertung“ eine ausführliche Einschätzung zu den Entwicklungsperspektiven rund um das Flughafengelände.
Bereits ein gutes Jahr nach den letzten Flugzeugstarts berichtet die Berliner Zeitung über die ersten sichtbaren Aufwertungseffekte: „Ein Kiez hebt ab„. Im Gebiet westlich des Flugfeldes (zwischen Dudenstraße, Tempelhofer Damm, General-Pape-Straße und S-Bahn-Ring) wurden allein im Jahr 2009 von der Wohnbauten- und Beiteiligungsgesellschaft WoBeGe 70 Wohnungen verkauft. Nach Aussagen von Ullrich Haaker (WoBeGe) stehe das Quartier vor allem bei Kreativen und Bildungsbürgern hoch im Kurs.
„Architekten, Juristen, Professoren oder Ingenieure interessieren sich verstärkt für das Quartier“, stellt Ullrich Haaker von der Wohnbauten- und Beteiligungsgesellschaft WoBeGe fest. Der Vertriebsleiter ist mit der Teilprivatisierung Neu-Tempelhofs beauftragt. 50 Prozent der Wohnungen seien bereits verkauft. „Allein 2009 waren 70 Wohnungen ratzfatz weg“.
Mit der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen hat die WoBeGe Erfahrung. Den Geschäftsberichten zu Folge hat die Gesellschaft seit 1995 etwa 3.000 Wohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft STADT- UND LAND erfolgreich privatisiert.
Auch im so genannten Fliegerviertel (hieß das eigentlich schon immer so?) wurden der WoBeGe 3.000 Wohnungen für die Privatisierung übertragen.
Die Privatisierung verläuft sanft. Die WoBeGe will sich nach eigenen Angaben für eine positive Quartiersentwicklung einsetzen. „Verkauft wird nur Leerstehendes, aber gelegentlich bieten wir Altmietern Umsetzungen an und übernehmen dabei gern die Umzugskosten“, erklärt Haaker.
Ob diese Umzugskosten eine angemessenen Entschädigung für den Auszug aus der Wohnung darstellen, sei dahin gestellt.
Die neuen Kaufinteressenten sind oft gut situiert und haben entsprechend höhere Ansprüche, die ihnen die Räumlichkeiten aus dem sozialen Wohnungsbau der Zwanzigerjahre nicht ohne Weiteres bieten kann. „In solchen Fällen kann der Wohnraum durch Zusammenlegungen vertikal oder horizontal auf ideale 108 Quadratmeter ausgedehnt werden“, sagt Haaker.
Verglichen mit den Kaufpreise in den innerstädtischen Aufwertungsgebieten Mitte und Prenzlauer Berg muten die Quadratmeterpreise der Umwandlungen in Tempelhof mit 1.030 Euro/qm relativ moderat an. Doch angesichts der jetzt schon enormen Wohnkostenbelastung im Gebiet, stellt jede weitere Aufwertung die Bestandsmieter/innen vor enorme Probleme. In einem früheren Artikel im Tagesspiegel (23.07.2008) wurde bereits von Anteilen um die 40 Prozent geschrieben, die die Bewohner/innen von ihren verfügbaren Einkommen für die Miete berappen müssen:
Überraschend ist, dass die „Gentrifizierung“, wie die Verdrängung von Bewohnern in sanierten Quartieren genannt wird, auch den Norden Tempelhofs erfasst. Auch dort werden Mieten verlangt, die sehr hoch sind gemessen an den durchschnittlichen Einkommen in dieser Gegend: am Priesterweg, in der Fliegersiedlung sowie nördlich der Ullsteinstraße. Bis zu 40 Prozent ihres Einkommens müssten auch die jetzigen Bewohner des Kreuzberger Graefekiezes für dort angebotene Wohnungen bezahlen.
Zwar geht der Artikel in der Berliner Zeitung nicht davon aus, dass die Gegend sich zu einer Top-Adresse für die Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft einwickelt…
„Die Gegend wird sich eher als bürgerliches Refugium etablieren.“
… eine Entwarnung ist dies nicht!
Das Beispiel von Tempelhof zeigt wieder einmal, dass Gentrification nicht mehr als Sonderfall der Stadtentwicklung angesehen werden kann, sondern weite Teile der Innenstädte erfasst. Zugleich zeigen die Umwandlungen, dass Aufwertung nicht immer auf eine gründerzeitliche Bausubstanz beschränkt bleibt.
Dem Einwand vorbeugend, in dieser Argumentationslogik ‚jede Form der Aufwertung‘ zur Gentrification zu erklären, hier noch mal ein zugespitztes Definitionsangebot: „Gentrification sind stadträumliche Aufwertungdynamiken, deren immobilienwirtschaftliche Strategien einen Austausch der Bewohnerschaft voraussetzen“. Zumindest die beschriebenen Umwandlungen in Eigentumswohnungen erfüllen dieses Kriterium.